Selbsthilferecht des Nachbarn bei störenden Ästen?

Säge Ast

Selbsthilferecht des Nachbarn bei störenden Ästen?

Ein Beitrag von Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Thomas Rothammer – Kanzlei von Düsterlho, Rothammer & Partner mbB

Bau- /Miet- und WEG-Recht

Grundstücksnachbarn dürfen von ihrem Selbsthilferecht sogar dann Gebrauch machen, wenn durch das Abschneiden überhängender Äste das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht. Dies allerdings nur vorbehaltlich naturschutzrechtlicher Beschränkungen und soweit die Benutzung des Grundstücks durch den Überhang beeinträchtigt ist, so der BGH in seinem aktuellen Urteil. (Urteil des BGH vom 11. Juni 2021 – V ZR 234/19)

Der Fall

Die Parteien sind Nachbarn. Auf dem Grundstück der Kläger steht unmittelbar an der gemeinsamen Grenze seit rund 40 Jahren eine inzwischen etwa 15 Meter hohe Schwarzkiefer. Ihre Äste, von denen Nadeln und Zapfen herabfallen, ragen seit mindestens 20 Jahren auf das Grundstück des Beklagten hinüber.

Nachdem dieser die Kläger erfolglos aufgefordert hatte, die Äste der Kiefer zurückzuschneiden, schnitt er überhängende Zweige selbst ab. Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten, es zu unterlassen, von der Kiefer oberhalb von fünf Meter überhängende Zweige abzuschneiden. Sie machen geltend, dass das Abschneiden der Äste die Standsicherheit des Baums gefährde. Die Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich.

Entscheidung des BGH

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Dies unter folgenden Hinweisen:

  1. Die von dem Berufungsgericht gegebene Begründung, die Kläger müssten das Abschneiden der Zweige nicht nach § 910 BGB dulden, weil diese Vorschrift nur unmittelbar von den überhängenden Ästen ausgehende Beeinträchtigungen erfasse, nicht aber mittelbare Folgen, wie den Abfall von Nadeln und Zapfen, ist durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. Juni 2019 (V ZR 102/18) überholt. Schon aus diesem Grunde war das Berufungsurteil aufzuheben.
  2. Das Berufungsgericht muss nunmehr klären, ob die Nutzung des Grundstücks des Beklagten durch den Überhang beeinträchtigt wird. Sofern eine solche Beeinträchtigung vorliegt, ist die Entfernung des Überhangs durch den Beklagten für die Kläger zumutbar und zu dulden. Selbst dann, wenn durch den Rückschnitt das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht.
  3. Das Selbsthilferecht aus § 910 Abs. 1 BGB sollte nach der Vorstellung des Gesetzgebers einfach und allgemein verständlich ausgestaltet sein und unterliegt daher insbesondere keiner Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung.
  4.  Grundsätzlich darf auch nicht außer Acht bleiben, dass die Verantwortung dafür, dass Äste und Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, bei dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht, liegt. Ein Grundstückseigentümer ist in diesem Rahmen stets zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung seines Grundstücks angehalten.
  5.  Kommt ein Grundstückseigentümer seinen Verpflichtungen dahingehend – wie vorliegend die Kläger – nicht nach und lässt er die Zweige des Baumes über die Grundstücksgrenze wachsen, dann kann er nicht unter Verweis darauf, dass der Baum (nunmehr) droht, durch das Abschneiden der Zweige an der Grundstücksgrenze seine Standfestigkeit zu verlieren oder abzusterben, von seinem Nachbarn verlangen, das Abschneiden zu unterlassen und die Beeinträchtigung seines Grundstücks hinzunehmen.
  6. Das Selbsthilferecht kann grundsätzlich durch naturschutzrechtliche Regelungen, etwa durch Baumschutzsatzungen oder -verordnungen, eingeschränkt sein.

Fazit

Grundstückseigentümer sollten Ihre Bäume und Sträucher zu angrenzenden Grundstücken regelmäßig kontrollieren und – natürlich unter Einhaltung der naturschutzrechtlichen Regelungen – schneiden, so dass kein Überhang auf Nachbargrundstücke droht. Kommen sie diesen Verpflichtungen nicht nach, droht die (oft ungewünschte) Selbsthilfe des Nachbarn, welche dann in den allermeisten Fällen auch zu dulden ist.

Lesen Sie hier die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs

Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 11.06.2021

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